Gut zu wissen!

Kreisel um den Pol der Ekliptik

Wegen der Präzession der Erdachse vollführt der Himmelsnordpol im Lauf von 25800 Jahren eine Kreisbewegung um den Pol der Ekliptik

Die Erdachse ist um etwa 23,5° gegen die Senkrechte zur Erdbahnebene, der Ekliptik, geneigt. Wie ein schief stehender Kinderkreisel vollführt die Erdachse eine Präzessionsbewegung im Raum, wodurch sich die Lage des nördlichen Himmelspols im Lauf von rund 25 800 Jahren einmal um den Pol der Ekliptik herumbewegt. Während sich der Himmelsnordpol gegenwärtig nahe an dem Stern Alpha Ursae Minoris befindet, den man deshalb Polarstern oder Polaris nennt, wird er sich in etwa 12 000 Jahren in die Nähe der Wega, des hellsten Sterns in der Leier, verlagert haben, Zur Zeit des Alten Ägypten befand sich der nördliche Himmelspol nahe dem Stern Thuban (Alpha Draconis) im Drachen. (Bild: Uwe Reichert)

Im Sternbild Drache liegt ein imaginärer Punkt, der sich durch eine Besonderheit unserer Erde und ihrer Umlaufbahn auszeichnet: der nördliche Pol der Ekliptik. Es ist der Punkt, auf den die Senkrechte zur Erdbahnebene weist. Auf ihn würde auch die Achse unserer Erde zeigen, wenn sie senkrecht zur Ekliptik stünde. Da aber die Erdachse um einen Winkel von 23 Grad und 26 Bogenminuten gegen die Senkrechte geneigt ist, liegt der nördliche Himmelspol um eben diesen Winkel vom nördlichen Pol der Ekliptik entfernt.

Diese Schiefe der Ekliptik, wie die Astronomen diesen Neigungswinkel nennen, ist Ursache der Jahreszeiten. Wäre die Erde eine ideale Kugel mit homogener Massenverteilung, würde sich an der relativen Lage von Himmelsnordpol und Pol der Ekliptik nichts ändern. Doch da die Erde sich wie ein Kreisel dreht und sie aufgrund ihrer ungleichen Massenverteilung Gezeitenkräften von Mond, Sonne und Planeten ausgesetzt ist, führt die Erdachse – und damit auch die Lage der Himmelspole – eine Kreiselbewegung um die Pole der Ekliptik aus.

Diese Präzessionsbewegung ist ein Phänomen, das sich am besten mit einem Kinderkreisel veranschaulichen lässt. Versetzt man ihn in eine schnelle Drehbewegung, so wird er zunächst recht stabil um eine senkrechte Achse rotieren. Unebenheiten in der Unterlage, auf der er sich dreht, oder Inhomogenitäten in seiner Massenverteilung bewirken jedoch eine leichte Verkippung der Rotationsachse. Wegen der Schwerkraft, die auf ihn wirkt, müsste er nun eigentlich umfallen. Doch ein sich drehender Kreisel hat die Eigenschaft, dass seine Rotationsachse einem solchen Drehmoment rechtwinklig auszuweichen sucht: Anstatt umzukippen, beschreibt die Drehachse eine Bahn auf dem Mantel eines Kegels, dessen Spitze mit dem Aufsetzpunkt des Kreisels zusammenfällt.

Die Erdkugel verhält sich aufgrund ihrer Neigung von gegenwärtig 23° 26′ ähnlich wie ein schief stehender Kinderkreisel. Da ihr Durchmesser am Äquator größer ist als in Richtung der Pole, ist ihr gewissermaßen äquatorumspannend eine zusätzliche Masse aufgesetzt. An diesem Äquatorwulst greifen die Anziehungskräfte von Sonne und Mond an, die sich stets in der Ebene der Ekliptik bzw. in ihrer Nähe befinden. Diese Kräfte erzeugen ein Drehmoment, das die rotierende Erde mit ihrer Rotationsachse senkrecht zur Ekliptik zu stellen sucht. Diesem Drehmoment weicht die Erde rechtwinklig aus, sodass ihre Achse sich auf dem Mantel eines Doppelkegels bewegt, dessen Spitze im Erdmittelpunkt zu liegen kommt. Infolgedessen beschreiben die beiden Himmelspole am Firmament einen Kreis mit einem Radius von 23° 26′ um die Pole der Ekliptik. Ein voller Umlauf dauert etwa 25 800 Jahre. In dieser Zeit verschieben sich auch die beiden Äquinoktialpunkte einmal durch alle Tierkreissternbilder. Diese Verlagerung ist westwärts gerichtet – entgegengesetzt zur scheinbaren jährlichen Bewegung der Sonne – und beträgt 50,39 Bogensekunden pro Jahr.

Genau genommen tragen auch die Planeten zur Präzession bei. Der Umlauf der Erde um die Sonne kann nämlich ebenfalls als Kreiselbewegung aufgefasst werden. Das Drehmoment, das die Planeten ausüben, sucht die Ebene der Erdbahn in die Hauptebene der Planetenbahnen zu drehen. Ein weiterer Beitrag zur Präzession kommt durch einen relativistischen Effekt zustande. Die daraus resultierende allgemeine Präzession ist etwas kleiner als die durch Sonne und Mond bedingte Präzession und beträgt 50,29 Bogensekunden pro Jahr.

Da das astronomische Koordinatensystem auf der Äquator- und der Ekliptikebene beruht und die Rektaszension eines Himmelskörpers vom Frühlingspunkt aus gezählt wird, bewirkt die Präzession, dass sich die Koordinaten der Gestirne verschieben. Jede Positionsangabe müsste demnach auch den genauen Zeitpunkt der Beobachtung beinhalten. Die Astronomen lösen das Problem, indem sie die Koordinaten jeweils auf eine bestimmte Standard-Epoche beziehen. Die gegenwärtig gültige Standard-Epoche ist auf den 1. Januar 2000, 12 Uhr Weltzeit, bezogen. Alle auf dieser Website genannten Positionsangaben gelten für diese Epoche.