Das New Horizons Parallax Program

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Uwe Reichert
7. Mai 2020

Erstmals hat eine Raumsonde Bilder aus einer „interstellaren“ Entfernung zur Erde gesandt, auf denen nahe Sterne an anderen Positionen stehen, als von der Erde aus beobachtet. Damit lässt sich direkt ermitteln, wie weit unsere Nachbarsterne von uns entfernt sind. Dies ist auch eine reizende Aufgabe für Amateurastronomen, die sich an einer Pionierleistung in der Beobachtungstechnik beteiligen wollen.

New Horizons Spacecraft

Neue Horizonte entdecken – der Name ist Programm für die Raumsonde New Horizons. Gebaut, um das äußere Sonnensystem zu erforschen, erreichte die NASA-Sonde im Juli 2015 als erstes menschengemachtes Messgerät den Zwergplaneten Pluto (Bild links). Im Januar 2019 zog sie an dem winzigen Kuipergürtelobjekt (486958) Arrokoth vorbei. Die weitere Flugbahn wird New Horizons durch die weitgehend unerforschten Außenbezirke unseres Sonnensystems führen, bis sie irgendwann in den Weiten des interstellaren Raumes verschwindet.

Damit wird New Horizons das Schicksal der in den 1970er Jahren gestarteten Sonden Pioneer-10 und -11 sowie Voyager-1 und -2 teilen. Diese frühen Kundschafter haben ebenfalls das Sonnensystem auf Nimmerwiedersehen verlassen und sind bereits mehr als hundertmal so weit von der Sonne entfernt wie unsere Erde. New Horizons hat aktuell zwar „nur“ den 47-fachen Abstand Erde–Sonne erreicht. Dafür funktionieren noch alle Bordsysteme einwandfrei, was viele Möglichkeiten für zusätzliche Messungen eröffnet. So suchen die Leiter der Mission gegenwärtig nach weiteren Himmelskörpern im Kuipergürtel des Sonnensystems, die nahe der Flugbahn der Sonde liegen und die mit kleinen Kurskorrekturen innerhalb der nächsten Jahre erreicht werden können.

Bis es so weit ist, lässt sich mit der Sonde auch Neuartiges erproben – zum Beispiel die Entfernung von Sternen messen. Von ihrer Warte aus erscheinen nämlich die sonnennächsten Sterne nicht mehr exakt an der gleichen Stelle am Himmel wie von der Erde aus. Ursache ist die Parallaxe: Beobachtet man ein weit entferntes Objekt von zwei leicht unterschiedlichen Positionen aus, so scheint es sich gegenüber dem noch weiter entfernten Hintergrund geringfügig zu verschieben. Auf diesem Effekt beruht unser räumliches Sehen, und wir können mit seiner Hilfe mit einfachen geometrischen Methoden Entfernungen genau bestimmen.

Traditionell messen die Astronomen die Parallaxe eines Sterns, indem sie ihn zu verschiedenen Zeiten aus beobachten. Denn zu verschiedenen Zeiten befindet sich die Erde auf unterschiedlichen Positionen auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne. Dieser Positionsunterschied bildet die Basis für die Parallaxenmessung. Die Parallaxe selbst ist der Winkel, um den der Ort des Sterns am Himmel verschoben erscheint. Aus ihm lässt sich direkt die Entfernung des Sterns berechnen. Der Satellit Gaia, der seit einigen Jahren in Betrieb ist, nutzt dieselbe Methode, um die Parallaxen und somit die Entfernungen von vielen Millionen Sternen in unserer kosmischen Umgebung präzise zu ermitteln. Allerdings muss Gaia, um eine hohe Messgenauigkeit zu erreichen, mehrere Jahre lang messen. Zudem sind komplizierte Rechenverfahren nötig, um die Daten auszuwerten. Denn nicht nur der Satellit Gaia selbst, sondern alle gemessenen Sterne befinden sich in ständiger Bewegung.

Die Sonde New Horizons hingegen erlaubt nun aufgrund ihrer Entfernung von rund 7 Milliarden Kilometern (47 Astronomischen Einheiten) eine direkte Messung der Parallaxe mit einer Basislänge, die zuvor unmöglich war. Um dieses Potenzial zu verdeutlichen und auch die Öffentlichkeit mit einzubeziehen, hat die NASA ein spezielles Programm ins Leben gerufen: das New Horizons Parallax Program.

Prinzip-der-Parallaxenmessung

Das Prinzip der Parallaxenmessung: Von der Erde aus erscheint ein relativ naher Stern gegenüber den weiter entfernten Hintergrundsternen um einen kleinen Winkel am Himmel verschoben, wenn man ihn von gegenüberliegenden Punkten der Erdbahn aus beobachtet. Viel größer und somit leichter messbar ist diese Parallaxe, wenn als Basis für die Messung nicht der Erdbahndurchmesser benutzt wird, sondern die Entfernung der Sonde New Horizons von der Erde. (Bild: Brian May)

Ziel des New Horizons Parallax Program ist:

  • zu veranschaulichen, wie enorm weit sich die Sonde New Horizons mittlerweile von der Erde entfernt hat, indem die Winkelverschiebung von zwei sonnennahen Sternen (Proxima Centauri und Wolf 359) gegenüber dem Himmelshintergrund nachgewiesen wird.
  • erstmals ohne Beeinflussung durch die Eigenbewegung der Sterne ihre Parallaxe zu messen. Denn gleichzeitige Messungen von der Erde und von der Sonde aus sind frei von Fehlern, die durch die Bewegung der Sterne im Raum hervorgerufen werden und die sich normalerweise den Parallaxenmessungen überlagern.
  • erstmals zu zeigen, dass das Prinzip interstellarer Navigation anhand von Sternen funktioniert. Denn durch Messungen der Parallaxen von ausreichend weit am Himmel auseinanderliegenden Sternen lässt sich die Position einer Raumsonde in unserem Milchstraßensystem ermitteln. In der Praxis wird die Position von New Horizons natürlich durch die irdischen Antennen bestimmt, die den Funkkontakt zur Sonde halten. Aber Parallaxenmessungen erlauben es einer Sonde im Prinzip, ihre Position autonom – ohne Zutun von der Erde – festzustellen.
  • die interessierte Öffentlichkeit und Amateurastronomen auf der ganzen Welt an den Beobachtungen teilhaben zu lassen. Die Sterne, deren Position New Horizons misst, sind von der Erde aus von jedem zu beobachten, der Zugang zu einem Teleskop mit mindestens 15 Zentimeter Öffnung und einer digitalen Kamera hat. Die von New Horizons erstellten Aufnahmen werden veröffentlicht, so dass jeder die Daten selbst auswerten kann. Auch Aufnahmen professioneller Observatorien werden zur Verfügung gestellt, so dass auch Schulen und andere Bildungseinrichtungen das Datenmaterial für Unterrichts- und Lehrzwecke nutzen können, ohne eigene Aufnahmen anfertigen zu müssen.

Die für das Projekt ausgewählten Sterne sind zwei rote Zwergsterne in unmittelbarer Nachbarschaft zu unserer Sonne: Proxima Centauri und Wolf 359. Ersterer ist von der Südhalbkugel der Erde zu beobachten, der zweite auch von der Nordhalbkugel aus. Das gewährleistet, dass Beobachter auf der ganzen Erde am Programm teilnehmen können. Und von der Sonde aus gesehen, die in Richtung des Sternbilds Schütze unterwegs ist, liegen beide Sterne am Himmel weit genug auseinander, damit das Prinzip der interstellaren Navigation getestet werden kann.

New Horizons fotografierte die Umgebung der beiden Sterne am 22. und 23. April 2020 mit dem Bordinstrument namens Longe Range Reconnaissance Imager (LORRI), einem 20-Zentimeter-Spiegelteleskop, das mit einer CCD-Kamera ausgerüstet ist. An diesen Tagen waren Amateurastronomen aufgerufen, die gleichen Himmelsfelder aufzunehmen. Am 11. Juni 2020 wurden die New-Horizons-Fotos veröffentlicht, so dass sie jedermann für eigene Auswertungen zur Verfügung stehen. Wer keine eigenen Aufnahmen hat, kann für die Auswertung Fotos von professionellen Sternwarten nutzen, die auf derselben Website angeboten werden. Daraus können zum Beispiel GIF-Animationen erstellt werden, die nach dem Prinzip eines Blinkkomparators den nahen Vordergrundstern vor dem Feld der weiter entfernten Hintergrundsterne hin und her springen lassen (siehe weiter unten). Die Vergleichsaufnahme von Proxima Centauri stammt von Edward Gomez, der ein 40-Zentimeter-Teleskop des Las Cumbres Observatory in Australien im Fernbeobachtungsmodus nutzte. Die Aufnahme von Wolf 359 erstellten John. F Kielkopf und Karen A. Collins mit einem 60-Zentimeter-Teleskop der University of Louisville am Mt. Lemmon Observatory im US-Bundesstaat Arizona, ebenfalls im Fernbeobachtungsmodus.

Proxima Centauri & Wolf 359

Proxima Centauri

Nach unserer Sonne ist Proxima Centauri der uns nächste Stern. Er ist 4,24 Lichtjahre von uns entfernt und befindet sich im Sternbild Zentaur am südlichen Sternhimmel. Mit einer scheinbaren visuellen Helligkeit von 11,13 mag ist der rote Zwergstern nur mit Teleskopen oder auf fotografischen Aufnahmen zu erkennen. Wegen seiner hohen Eigenbewegung verschiebt sich Proxima jährlich um 3,9 Bogensekunden gegenüber den Hintergrundsternen. Diese Eigenbewegung ist viel größer als die Verschiebung infolge der Parallaxe, die nur 0,768 Bogensekunden beträgt. Gemeinsam mit dem engen Doppelstern Alpha Centauri bildet Proxima ein weites Dreifach-Sternsystem. Alpha Centauri ist nur unwesentlich weiter von der Sonne entfernt, ist aber viel zu hell, um von New Horizons beobachtet werden zu können.

Himmelskoordinaten im System J2000:
Rektaszension: 14h 29min 31,962sec, Deklination: -62° 40′ 30,77″

Wolf 359

In der Liste der bekannten sonnennächsten Sterne steht Wolf 359 derzeit auf Rang acht. Er ist 7,88 Lichtjahre von uns entfernt und befindet sich im Sternbild Löwe am nördlichen Sternhimmel. Auch er ist ein roter Zwergstern, und zwar einer der am schwächsten leuchtenden, die wir kennen. Verglichen mit den Werten unserer Sonne hat Wolf 359 nur neun Prozent der Sonnenmasse und nur ein Tausendstel der Sonnenleuchtkraft. Seine scheinbare visuelle Helligkeit beträgt 13,5 mag. Somit ist er nur mit Teleskopen mit mindestens 15 Zentimeter Öffnung fotografisch zu erfassen. Seine Eigenbewegung beträgt 4,7 Bogensekunden pro Jahr, seine Parallaxe hingegen nur 0,413 Bogensekunden. Als Flarestern neigt Wolf 359 zu Helligkeitsausbrüchen; in den Veränderlichen-Katalogen ist er als CN Leonis verzeichnet.

Himmelskoordinaten im System J2000:
Rektaszension: 10h 56min 23,665sec, Deklination: +06° 59′ 58,48″

Quellen:

Get-Involved-Website des New Horizons Parallax Program

Parallax-Images-Website des New Horizons Parallax Program mit Bildern von Proxima Centauri und Wolf 359 im FITS-Format