Erdnahe Asteroiden – Hintergrundartikel

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Uwe Reichert
16. Mai 2020

Die Zahl der Kleinkörper im Sonnensystem geht in die Hunderttausende, wenn nicht sogar Millionen. Manche Asteroiden kommen unserer Erde gefährlich nahe und können sogar eines Tages mit ihr kollidieren. Was wissen wir über die Bedrohung?

Manicouagan impact crater Canada as seen from the ISS

Der Manicouagan-Krater in Kanada mit ursprünglich rund 100 Kilometer Durchmesser entstand vor 214 Millionen Jahren durch den Einschlag eines mindestens fünf Kilometer großen Asteroiden. Von Bord der Internationalen Raumstation ISS ist er leicht anhand seines ringförmigen Sees erkennbar. (Bild: Andre Kuipers, ESA/NASA)

Wir merken es nicht, aber unsere Erde gehört zu den Typen, die schnell unterwegs sind. Sie hält sich zwar streng an das für viele Wohngebiete gültige Tempo 30, aber nicht etwa pro Stunde, sondern pro Sekunde. Das heißt: Gegenüber einem Auto, das brav mit 30 km/h durch eine Tempo-30-Zone fährt, rast unsere Erde mit der 3600-fachen Geschwindigkeit auf ihrer Bahn um die Sonne herum.

Das geht so lange gut, wie kein Hindernis im Weg ist. Doch die Erdumlaufbahn ist nicht für Anlieger reserviert und vor allem keine Einbahnstraße. Im Sonnensystem gilt nur eine Regel, und die wird durch die Schwerkraft bestimmt. Bremsen, anhalten, Vorfahrt gewähren – das ist für die Himmelskörper in unserem Sonnensystem nicht vorgesehen. Die acht großen Planeten kommen sich untereinander zwar nicht in die Quere, denn ihre Rennbahnen liegen alle auf unterschiedlich großen Ellipsen, und schön geordnet haben sie alle den gleichen Drehsinn. Doch da sind noch die unzähligen kleinen Mitglieder unseres Sonnensystems, die zwar auch der Schwerkraft folgen, aber querfeldein unterwegs sind – ihre Bahnen liegen teilweise kreuz und quer im Raum verteilt. Da sind gelegentliche Verkehrsunfälle vorprogrammiert. Zumal Hupen und Blinken nicht zu den Tugenden dieser Raser gehören und sie durch nichts auf sich aufmerksam machen.

Zu diesen ungezogenen Wilden gehören zwei unterschiedliche Gruppen: Kometen und Asteroiden. Kometen fallen nur dann auf, wenn sie auf ihren stark elliptischen Bahnen in das innere Sonnensystem vordringen und sich der Sonne nähern. Ihr aus Staub und Eis bestehender Kern erwärmt sich dabei an der Oberfläche, wodurch beständig Staub freigesetzt wird, der zunächst als langer Schweif sichtbar ist und sich schließlich entlang der Kometenbahn verteilt.

Kreuzt unsere Erde eine solche Kometenbahn, fegt sie wie ein gewaltiger Besen durch die dünne Staubwolke. Mit hoher Relativgeschwindigkeit – zwischen etwa 10 und 70 Kilometer pro Sekunde – treten die Staubkörnchen in die Atmosphäre ein und verglühen rasch infolge der hohen Reibungswärme. Wir Menschen auf der Erdoberfläche freuen uns dann über die zahlreichen Sternschnuppen, die leuchtend über den Nachthimmel huschen.

Geschosse aus dem All

Asteroiden hingegen sind andere Kaliber. Im Gegensatz zu den eher locker aufgebauten Kometenkernen, die in Sonnennähe leicht zerbröseln,  bestehen sie aus festem Gestein, teilweise sogar aus Metall. Was passiert, wenn unsere Erde mit einem solchen Brocken kollidiert, hängt wesentlich von dessen Größe ab. Für kleinere Krümel bis hin zu wenigen Meter Durchmesser wirkt unsere Atmosphäre als ausreichender Schutzschirm: Die Eindringlinge zerplatzen und verglühen. Die begleitende Leuchterscheinung ist allerdings bedeutend spektakulärer: Statt von Sternschnuppen oder Meteoren sprechen die Astronomen dann von Boliden oder Feuerkugeln. In Einzelfällen können dann Fragmente des Asteroiden als so genannte Meteoriten auf den Erdboden fallen. In der Regel geht das glimpflich aus. Um im Bild des Autoverkehrs zu bleiben: Kein Sachschaden, nur kaum sichtbare Kratzer im Lack.

Kritischer wird es, wenn die in die Erdbahn geratenden Asteroiden größer sind. Etwa ab zehn Meter aufwärts erzeugt der zerplatzende Körper eine vehemente Druckwelle. Die Bewegungsenergie, die dann auf die Atmosphäre übertragen wird, entspricht dem Mehrfachen der Explosionsenergie der Hiroshima-Atombombe. Glück im Unglück hatten die Bewohner der russischen Stadt Tscheljabinsk, als am 16. Februar 2013 ein etwa 19 Meter großer Asteroid mit einer geschätzten Masse von 12 000 Tonnen hoch über ihnen detonierte. Die dadurch ausgelöste Druckwelle beschädigte Gebäude, ließ Fensterscheiben bersten und verletzte dadurch rund 1500 Menschen. Die Detonation eines ähnlich großen Asteroiden am 18. Dezember 2018 in der Atmosphäre richtete nur deshalb keinen Schaden an, weil sie sich über der entlegenen Beringsee ereignete.

Man kann sich nun leicht ausmalen, was geschieht, wenn der kosmische Unfallverursacher noch deutlich größer ist – sagen wir, vielleicht 100 Meter oder gar 1000 Meter im Durchmesser. Die Atmosphäre ist dann als Schutzschirm weitgehend nutzlos, und der Zusammenprall wird äußerst heftig. Zahlreiche auf unserem Globus verteilte Einschlagkrater zeugen davon, dass in erdgeschichtlicher Zeit  tatsächlich Asteroiden solcher Größenordnung mit unserem Planeten zusammengestoßen sind und teils große Verwüstungen hinterlassen haben.

Blick ins Steinheimer Becken

Blick vom heute noch gut erkennbaren Kraterrand des Steinheimer Beckens auf das Städtchen Steinheim und den Rest des Zentralbergs inmitten des Kraters (rechts). (Bild: Uwe Reichert)

In Süddeutschland gibt es gut erhaltene Spuren einer solchen Katastrophe: Das Nördlinger Ries und das rund 40 Kilometer entfernte Steinheimer Becken sind beides Impaktkrater. Sie entstanden vor knapp 15 Millionen Jahren gleichzeitig durch den Einschlag eines Doppelasteroiden. Ein vermutlich 1500 Meter großer Körper schlug einen 25 Kilometer weiten und 500 Meter tiefen Krater, das heutige Nördlinger Ries, und schleuderte 150 Kubikkilometer Gestein als Auswurf in die weite Umgebung. Sein kleinerer Begleiter, rund 150 Meter groß, ist verantwortlich für das Steinheimer Becken, einen Krater mit vier Kilometer Durchmesser und 200 Meter Tiefe. Für die damalige Tierwelt in Mitteleuropa war dieser Einschlag eine Katastrophe: Binnen weniger Minuten wurde das Leben weiträumig ausgelöscht.

Knapp 200 Kraterstrukturen auf der Erde sind inzwischen zweifelsfrei als Einschlagkrater identifiziert. Der größte von ihnen liegt in der Nähe der Stadt Vredefort in Südafrika und hatte einst einen Durchmesser von mehr als 300 Kilometern; seit seiner Entstehung vor rund zwei Milliarden Jahren haben Erosion und plattentektonische Prozesse seine ursprüngliche Form verwischt. Der Asteroid, der ihn verursacht hat, muss einen Durchmesser von etwa 15 Kilometern gehabt haben.

Nicht viel kleiner war der Himmelskörper, der vor 66 Millionen Jahren den Chicxulub-Krater auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán mit 180 Kilometer Durchmesser schlug. Dieser Einschlag wird mit dem Aussterben eines großen Teils der damaligen Tier- und Pflanzenwelt in Verbindung gebracht. Unter anderem fielen ihm die Dinosaurier zum Opfer.

Auch aus der Zeit, als der Mensch bereits den Erdglobus besiedelte, sind Asteroideneinschläge nachgewiesen. Ein Beispiel ist der Barringer-Krater im US-Bundesstaat Arizona mit 1200 Meter Durchmesser, der vor knapp 50 000 Jahren durch den Aufprall eines aus Eisen und Nickel bestehenden Asteroiden entstand.

Panorama-Kaali-Krater

Nur rund 4000 Jahre alt ist der 110 Meter große und 22 Meter tiefe Kaali-Meteroritenkrater auf der Insel Saaremaa in Estland. Damit ist er der jüngste große Einschlagkrater, der in einer bewohnten Gegend entstanden ist. Der Durchmesser des Sees beträgt, abhängig vom Wasserspiegel, 30 bis 60 Meter. (Bild: Uwe Reichert)

Ebenfalls aus einer solchen Metallmischung bestand der Körper, der vor weniger als 5000 Jahren den 45 Meter großen Kamil-Krater im südwestlichen Ägypten, nahe der Grenze zum Sudan, verursachte. Reste dieses Asteroiden könnten die Quelle für die aus meteoritischem Eisen bestehenden Perlen und zeremoniellen Dolchklingen gewesen sein, die in altägyptischen Gräbern gefunden wurden.

Noch jünger, nämlich nur rund 4000 Jahre alt, ist der Kaali-Krater auf der estnischen Insel Saaremaa. Mit 110 Meter Durchmesser ist er der größte innerhalb eines Meteoritenstreufeldes, das sich über eine Fläche von einem Quadratkilometer erstreckt. Seine Spuren hat der verursachende Himmelskörper aus Eisen und Nickel nicht nur in der Landschaft, sondern auch in nordischen Sagen und Überlieferungen hinterlassen.

Wenn in der Vergangenheit große Gesteins- und Metallbrocken vom Himmel fielen, kann es auch in der Zukunft geschehen. Die Frage ist nur, wann? Um zu klären, wie hoch das Risiko eines katastrophalen Einschlags ist, und ob gerade irgendeiner der Asteroiden auf Kollisionskurs mit der Erde ist, müssen die Wissenschaftler die Population der Asteroiden und deren Bahnen genauer unter die Lupe nehmen.

Potenziell gefährliche Asteroiden

Zum Glück für uns bewegen sich die meisten Asteroiden geordnet zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter. Größtes Objekt in diesem Hauptgürtel der Asteroiden ist mit rund 940 Kilometer Durchmesser der Zwergplanet (1) Ceres. Allein auf ihn entfällt etwa ein Fünftel der Gesamtmasse aller Asteroiden. Alle anderen sind deutlich kleiner und unregelmäßig geformt. Etwa 220 von ihnen sind größer als 100 Kilometer, und es ist beruhigend zu wissen, dass keiner von ihnen jemals der Erde gefährlich nahe kommen wird. Anders sieht es hingegen bei Objekten der Kilometer- oder 10-Kilometer-Klasse aus. Denn zu kleineren Größen hin nimmt die Anzahl der Asteroiden erheblich zu. Ihre Gesamtzahl geht in die Hunderttausende, vermutlich sogar in die Millionen. Rund ein Zehntel davon hat so stark elliptische Bahnen, dass sie zeitweise auch in das innere Sonnensystem gelangen. Kollisionen mit der Erde sind dabei nicht ausgeschlossen.

Es gibt also gute Gründe, die Bahnen der bekannten Asteroiden daraufhin zu untersuchen, welche in den kommenden Jahren oder Jahrzehnten nahe an der Erde vorbeiführen. Ebenso ist es ratsam, den erdnahen Weltraum nach noch unbekannten kleineren Asteroiden abzusuchen. Wegen ihrer geringen Helligkeiten lassen sie sich oft erst dann nachweisen, wenn sie uns bereits deutlich näher als der Mond sind. Und wegen der hohen Relativgeschwindigkeiten bleiben oft nur einige Stunden oder wenige Tage als Vorwarnzeit. Es gibt deshalb inzwischen weltweit spezielle Beobachtungsprogramme, die Ausschau nach solchen potenziell gefährlichen Asteroiden halten. Die Sichtung eines Kandidaten löst eine Meldung an andere Observatorien aus, und in der Regel lassen sich innerhalb von zwei oder drei Stunden die Größe, Geschwindigkeit und genaue Bahn des Asteroiden ermitteln.

Mit Stand vom 12. Mai 2020 lagen für insgesamt 871 093 Asteroiden gute Bahndaten vor.  Als erdnahe Asteroiden – im Fachjargon Near-Earth Asteroids (NEAs) oder Near Earth Objects (NEOs) genannt – werden 22 697 Objekte eingestuft. Von diesen wiederum werden 1056 auf einer Risikoliste geführt, weil sie in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten tatsächlich der Erde gefährlich nahe kommen können und einer besonderen Überwachung bedürfen.

Quellen: