Sternbild Giraffe (Camelopardalis)

Sternbild Giraffe mit Bezeichnungen

Im Sternbild Giraffe fehlen helle Sterne, doch lässt sich mit etwas Fantasie tatsächlich die Figur des gleichnamigen Tiers erkennen. (Bilder: Uwe Reichert)

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Die Giraffe (lateinisch Camelopardalis) ist ein Sternbild des Nordhimmels, das von ganz Europa aus zirkumpolar ist, also niemals unter dem Horizont verschwindet.

Ein beliebter Spruch unter Hobby-Astronomen lautet: “Die Giraffe ist am Himmel dort, wo man nichts sieht”. Und in der Tat: Zwischen den markanten Sternbildern Großer Bär (Ursa Major) und Kassiopeia (Cassiopeia) einerseits sowie dem Hauptstern Capella im Sternbild Fuhrmann (Auriga) und dem Polarstern andererseits scheint eine große Lücke am Firmament zu klaffen. Kein heller Stern zieht die Aufmerksamkeit des Beobachters auf sich, und man muss schon den Dunstkreis der Städte hinter sich lassen, um überhaupt vereinzelte Lichtpunkte in dieser Himmelsgegend ausmachen zu können.

Der hellste Stern in dieser Konstellation, Beta Camelopardalis (β Cam), erreicht auf der in der Astronomie üblichen Helligkeitsskala einen Wert von lediglich 4,0 mag. Nur vier weitere der mit bloßem Auge erkennbaren Sterne gehören der 4. Helligkeitsklasse an; alle anderen sind lichtschwächer als 5 mag.

 

Links zeigt eine mit Koordinaten versehene Karte eines Himmelsausschnitts weiße Sterne auf hellblauem Hintergrund. Die Fläche, die das Sternbild Giraffe einnimmt, ist dunkelblau hervorgehoben. Die Tabelle rechts gibt wichtige Daten des Sternbilds Giraffe an.

Unsicher, wo am Himmel die Giraffe zu finden ist? Klicke das über dieser Infobox stehende Foto an, um zu sehen, welche bekannten und auffälligen Sternbilder die Giraffe umgeben. (Bild: Uwe Reichert)

Besondere Objekte

Gut zu wissen!

Kembles Kaskade – ein Kleinod in der Giraffe

Ein Ausläufer des Milchstraßenbandes durchzieht den südlichen Bereich des Sternbilds Giraffe. Zwar sind dort keine markanten hellen Sterne vorhanden, doch lohnt sich ein Streifzug mit dem Fernglas durch dieses sternreiche Gebiet. Der aufmerksame Beobachter stößt dort auf ein besonderes Kleinod: eine gerade Kette aus mehr als 20 Sternen unterschiedlicher Helligkeit und Farbe, die sich über etwa 2,5°, also das Fünffache des Vollmonddurchmessers, erstreckt. Die meisten dieser Sterne haben Helligkeiten zwischen 7 und 9 mag, doch ragt in der Mitte der Kette ein Stern mit 5 mag heraus. Das südöstliche Ende der Sternenkaskade weist knapp an dem offenen Sternhaufen NGC 1502 vorbei.

Diese lineare Anordnung aus Sternen hat keine gemeinsame physische Ursache. Wie die gemessenen Parallaxen zeigen, sind die Sterne unterschiedlich weit von uns entfernt, und sie sind auch nicht mit dem Sternhaufen NGC 1502 verknüpft. Am Himmel finden wir immer wieder auffällige Strukturen, in denen das menschliche Auge bekannte Formen oder Figuren wiedererkennt. Es handelt sich also um einen Asterismus, den wir aufgrund seiner linearen Form leicht wiedererkennen.

Unter Amateurastronomen ist dieser Asterismus als Kembles Kaskade bekannt geworden. Benannt ist sie nach dem kanadischen Franziskanermönch Lucian Kemble (5.11.1922 – 21.2.1999), der unzählige Nächte damit verbrachte, die Wunder des Nachthimmels mit einem Fernglas oder einem Teleskop zu erforschen. Eine Zeichnung der Sternenkette sandte er im Jahr 1980 an Walter Scott Houston, der die Kolumne „Deep-Sky Wonders“ in der Zeitschrift „Sky & Telescope“ betreute. In seinem Brief beschrieb Kemble die Sternenkette als „wunderschöne Kaskade lichtschwacher Sterne, die von Nordosten her zum offenen Sternhaufen NGC 1502 hin strömen„.

Eine gelungene Detailaufnahme von Kembles Kaskade ist am 28. Januar 2010 als Astronomy Picture of the Day ausgewählt worden. Eine deutsche Übersetzung ist als Weltraumbild des Tages zu finden.

Eine gerade Kette aus Sternen unterschiedlicher Helligkeit scheint auf den Sternhaufen NGC 1502 zu weisen

Kembles Kaskade: Eine gerade Kette aus Sternen unterschiedlicher Helligkeit scheint auf den Sternhaufen NGC 1502 hinzuströmen. Das Bild ist eine Ausschnittvergrößerung aus der eingangs in diesem Beitrag gezeigten Übersichtsaufnahme. (Bild: Uwe Reichert)

Nebel

Der Zitronenscheibennebel IC 3568

Der Planetarische Nebel IC 3568 hat Ähnlichkeit mit einer Zitronenscheibe

Der planetarische Nebel IC 3568, aufgenommen mit dem Hubble-Weltraumteleskop im Jahr 1997. Seinem Aussehen in diesem Bild verdankt er den Spitznamen Zitronenscheibennebel. (Bild: Howard Bond (Space Telescope Science Institute), Robin Ciardullo (Pennsylvania State University) and NASA)

Der planetarische Nebel IC 3568 befindet sich nur 8° vom Polarstern entfernt, innerhalb der gekrümmten Sternenkette, die durch Sterne des Kleinen Bären (UMi) gebildet wird. Der im linken Foto mit einem weißen Rechteck markierte Ausschnitt ist im rechten Bild vergrößert dargestellt. (Bild links: Uwe Reichert, Bild rechts: Stellarium/Uwe Reichert)

Nicht nur mit einem Weltraumteleskop gelingen gute Aufnahmen des Zitronenscheibennebels. Eindrucksvolle Ergebnisse von Amateurastronomen sind die Fotos von Marco Hodde und Zeichnungen von Bertrand Laville.

IC 3568 im Sternbild Giraffe ist der nördlichste aller planetarischen Nebel am Himmel. Er befindet sich nur 8° vom Polarstern entfernt bei einer Deklination von +82,5°.

Das Aussehen des Nebels auf einer Falschfarben-Aufnahme des Hubble-Weltraumteleskops hat ihm im Englischen den Spitznamen Lemon Slice Nebula (deutsch: Zitronenscheibennebel) eingebracht.  Er ist von bemerkenswert runder Form und weist in seinem Innern Strukturen auf, die an eine Zitronenscheibe erinnern.

Alternder Stern mit Blähungen

In einer früheren Entwicklungsphase hatte der Zentralstern über einen langsamen Sternwind Gas aus seinen äußeren Schichten weggeblasen, das heute nun als äußerer strukturloser Halo um den Stern zu sehen ist. Der hellere innere Teil des Nebels, der wie eine Zitronenscheibe aussieht, ist ebenfalls Gas, das von dem Vorläuferstern weggeblasen wurde, allerdings erst in jüngerer Zeit und mit einer weit höheren Geschwindigkeit.

Dieser schnelle Sternwind ist Kennzeichen einer kurzen Entwicklungsphase eines sonnenähnlichen Sterns, wenn der Kernbrennstoff zur Neige geht. Bereits zu einem Roten Riesen aufgebläht, gerät das Wechselspiel zwischen Strahlungsdruck und Gravitation endgültig aus dem Gleichgewicht, wodurch gewissermaßen der Motor des Sterns ins Stottern gerät. Heftige Zuckungen durchlaufen die äußeren Schichten und treiben das nur noch locker gebundene Gas von der Oberfläche ins Weltall hinaus. Zum Leuchten angeregt wird es durch die ultraviolette Strahlung des Reststerns, dessen innere heiße Schichten nun freigelegt sind.

Visuelle Beobachter, die sich mit ihrem Teleskop der Starhopping-Methode bedienen, können ihn leicht ausfindig machen, denn der planetarische Nebel steht genau 1° von dem Stern HD 112028 (HIP 62572) entfernt, der mit einer scheinbaren Helligkeit von 5,25 mag noch mit freien Augen sichtbar ist. Dieser Stern stellt zugleich die zapfenartigen Hörner der Giraffe dar, die man als Figur in dieses Sternbild hineininterpretieren kann. Der ungefähr 9000 Lichtjahre von uns entfernte Planetarische Nebel selbst ist 10,7 mag hell und scheint mit einem danebenstehenden, nur 12,9 mag hellen Stern einen optischen Doppelstern zu bilden.

 Name:
 IC 3568
 andere Bezeichnungen:
 Lemon Slice Nebula, Zitronenscheibennebel
 Objekttyp:
 planetarischer Nebel
 Sternbild:
 Giraffe
 Position (J2000.0):
 α = 12h 33m 06,9s, δ = +82° 33′ 49″
 scheinbare Helligkeit:
 10,7 mag
 Winkeldurchmesser:
 21″ × 19″ (visuell)
 Entfernung:
 2700 pc = 8900 Lj
 Zentralstern:
 HD 109540 (12,3 mag)

Ursprung des Sternbilds Giraffe

Das Sternbild Camelopardalis, wie Hevelius es zeichnete

Das Sternbild Camelopardalis (hier Camelopardalus genannt) in der Darstellung von Johannes Hevelius (1611-1687). Der Danziger Astronom hatte die Karten für seinen 1690 posthum erschienenen Atlas selbst gestochen. Im Gegensatz zu anderen Himmelskartografen stellte Hevelius die Sternbilder seitenverkehrt dar – also so, wie sie auf einem Himmelsglobus erscheinen würden, den man von außen betrachtet. Die Giraffe schaut demnach nach rechts auf den Großen Bären, der Polarstern befindet sich links hinter ihrem Kopf. (Aus: Johannes Hevelius, Sternenatlas, russische Ausgabe, Taschkent 1978)

 

Da im Sternbild Giraffe kein Stern heller als 4 mag leuchtet, sahen die Menschen der Antike keine Veranlassung, diesem unattraktiven Gebiet am Himmel eine mythologische Figur zuzuweisen. Um dieses „Loch“ am Firmament zu schließen, führte der niederländische Theologe und Astronom Petrus Plancius 1613 dieses Sternbild ein; außer der Giraffe gehen auch die Sternbilder Taube (Columba) und Einhorn (Monoceros) auf Vorschläge von ihm zurück.

Die Giraffe als Kuriosum

Der deutsche Astronom Jakob Bartsch übernahm Camelopardalis in seinem Werk „Planisphaerium Stellatum“ , das 1624 in Straßburg erschien. Die bildliche Darstellung zeigt eindeutig eine Giraffe mit ihrem typischen langen Hals. Doch weil Bartsch wohl noch nie ein solches Tier gesehen hatte, beschrieb er Camelopardalis als „Tier von der Größe eines Kamels, mit der Farbe eines Panthers und den Füßen eines Rindes“. Mit dieser eigenwilligen Charakterisierung stand Bartsch aber nicht alleine da, denn der wissenschaftliche Name Giraffa camelopardalis leitet sich tatsächlich von der kamelartigen Gestalt und dem leopardenähnlich gefleckten Fell ab.

Befremdlicher wirkt da schon der Versuch von Bartsch, in den aus der Antike überlieferten Sternbildern christliche Symbole zu erkennen. Und so ergänzte er auch zu dem neuen Sternbild Camelopardalis mit Bezug auf 1 Mose 24, 61-65: „Mir erscheint dies als das Kamel, mit dem Rebekka zusammen mit dem Sklaven Abrahams zu Isaak reiste.“

Vielleicht mangels besserer Vorschläge hat sich die Giraffe am Himmel durchgesetzt, wo sie nun ein weiteres Kuriosum unter den zahlreichen verstirnten Tieren, Untieren und Fabelwesen darstellt. Immerhin lassen sich in die Anordnung aus lichtschwachen Sternen mit genügend Fantasie tatsächlich die Umrisse einer Langhalsgiraffe hineininterpretieren – was freilich auf der Sternkarte leichter gelingt als am Himmel.